Das Hirn ist politisch

Konservativ oder liberal: Da gibt´s Unterschiede unter der Schädeldecke

Immer wieder erlebt man, wie unversöhnlich sich Menschen über Politik streiten können. Man wird schnell persönlich, driftet schnell in den Streit, mitunter begegnen sich die politischen Lager mit abgrundtiefem Hass. Eine mögliche – hirnanatomische – Erklärung für dieses Phänomen haben englische Wissenschaftler gefunden. Das Forscherteam um Ryota Kanai vom University College in London unterzog 90 Versuchspersonen zunächst einem Test, in dem deren politische Gesinnung mit Hilfe einer Fünf-Punkte-Skala erfasst wurde. Dann wurde ihr Gehirn per Magnetresonanz (MRT) gescannt, um evtl. vorhandene Unterschiede bildlich darstellen zu können. Das Ergebnis: Die rechtskonservativen Probanden zeigten im Scan eine deutliche Vergrößerung der rechten Amygdala, während bei den Linksliberalen mehr graue Hirnmasse im vorderen Hirngürtel sichtbar wurde. Beide Regionen gehören zum limbischen System, erfüllen dort aber recht unterschiedliche Aufgaben. Während die Amygdala vor allem bei Angst und dem Unterscheiden von Freund und Feind aktiv wird, vermittelt der vordere Hirngürtel die Fähigkeit, mit Konflikten und Unsicherheiten umzugehen. „Unsere Ergebnisse sind keineswegs zufällig“, so Kanai. „Mit unserer Methode zum Unterscheiden von Konservativen und Liberalen auf Grundlage von MRT-Aufnahmen erzielen wir eine Treffferquote von über 70 Prozent“. Das sei deutlich höher als bei einem Münzwurf.

Frühere Studien konnten bereits zeigen, dass politische Einstellungen mit bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen einhergehen. Demnach sind konservative Menschen anfällig für Ängste durch Dinge oder Menschen, die sie nicht kennen, während die liberale Gesinnung sich durch eine größere Offenheit gegenüber Unbekanntem zeigt. „Mit unserer Studie haben wir nun auch eine biologische Grundlage für diese Charakterunterschiede gefunden“, betont Kanai. Ähnliche Untersuchungen böten sich nun auch für andere Einstellungsangelegenheiten an, so das optimistische Fazit des Neuro-Wissenschaftlers. So könnte man beispielsweise die Gehirne der kleinen, aber treuen Gemeinde der Mac-Anwender mit denen von üblichen PC-Usern vergleichen.

Allerdings geben die englischen Forscher auch zu, dass ihre Arbeit einige Fragen offen lässt. So sei vor allem noch zu klären, ob die hirnstrukturellen Unterschiede die politischen Differenzen verursachen oder aber umgekehrt deren Folge sind. Dazu wäre eigentlich eine Interventionsstudie nötig, in der man einen Menschen intensiv manipuliert und politisch umpolt – und dabei fortwährend MRT-Aufnahmen von seinem Hirn schiesst. Solche Studien dürften in den Ethik-Kommissionen keine Chance auf Zulassung haben.

Quelle: Kölner Stadt-Anzeiger, Montag, 30. April 2012

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